Im Kosmos der Schamanen gibt es neben dem Tierverbündeten auch pflanzliche Lehrer und Heiler. Als Medizinpflanzen sind im Sprachgebrauch in erster Linie hallzuinogene Pflanzen bekannt, welche den indigenen Schamanen den Eintritt in die Trance erleichtern. Im Schamanismus unterscheidet man allerdings zwischen Medizinpflanzen und Zauberflanzen. Medizinpflanzen sind Verbündete und Lehrer in der Anderswelt, die nicht zwingend Trance herbeiführen. Zauberpflanzen hingegen schon. Ein Medizinpflanze wird, wenn sie zum Heilen verwendet werden soll, auch nicht im herkömmlichen Sinne als Arzneimittel eingesetzt, sondern aus der entsprechenden schamanischen Erfahrung heraus als Verbündeter des Klienten oder Schamanen.
Heilt ein Medizinmann beispielsweise Husten mit Huflattich und Nervosität mit Baldrian, so verwendete ein Schamane für alle drei Krankheiten nur ein Heilkraut, beispielsweise Brennnesseln. Die Wahl der Pflanze erfolgte also nicht, weil diese im mediznischen Sinne Wirkstoffe gegen eine dieser Krankheiten enthält. Sie wird vielmehr gewählt, weil die Brennnessel die Medizinpflanze ist, mit welcher der Schamane erfahrungsgemäß selbst am Besten arbeitet. (Felix R. Paturi – Heilbuch der Schamanen, G. Reichel Verlag, 2005)
Das heißt also, es wird im Schamanismus ebenfalls zwischen Heilpflanzen, die auf Grund ihrer medizinischen Wirkstoffen eingesetzt werden, und Medizinpflanzen unterschieden, welche spirituelle Verbündete des Klienten oder Schamanen sind und selten krankheitsspezifische Inhaltsstoffe enthalten und fast ausschließlich mit ihrer spirituellen Kraft heilen.
Die persönliche Medizinpflanze zeigt sich dem Schamanen und Klienten oftmals in schamanischen Reisen, aber sie kann auch in der Realtität vermehrt die Aufmerksamkeit ihres Schützlings fordern.
Mitunter fühlt man sich eine lange Zeit zu einer bestimmten Pflanze hingezogen oder man hat Bekanntschaft mit dem Geist der entsprechenden Pflanze in einer schamanischen Reise gemacht. Hat man die persönliche Medizinpflanze gefunden, kann man mit ihr auch auf spiritueller Ebene heilen – insb. aber sich selbst. Das bedeutet, dass die Auffassung von der eigesetzten Medizinpflanze in erster Linie vom Schamanen oder Klienten abhängig ist und erst in zweiter Linie von den Symptomen.
In einer schamanischen Heilung wird vorwiegend mit der Medizinpflanze des Schamanen gearbeitet, weil der Schamane gelernt hat mit ihrer Kraft umzugehen und sie richtig einzusetzen weiß. Die Arbeit mit der persönlichen Medizinpflanze des Klienten bietet sich erst dann an, wenn der Klient bereits seit einiger Zeit schamanisch arbeitet oder in Zukunft für längere Zeit sich dem Schamanismus zuwendet.
In der alltäglichen Wirklichkeit finden Medizinpflanzen ihre Anwendungen durch Einnahme, Einreibungen, als Räucherwerk oder Duftöl. In der nichtalltäglichen Wirklichkeit wird stattdessen auf spiritueller Ebene mit dem Geist der Pflanze gearbeitet und geheilt.